Rainer Wick
Zwischen Abstraktion und Figuration: Anmerkungen zu Eugen Batz

(aus: Katalog „Eugen Batz. Vom Bauhaus bis zur Gegenwart. Bilder aus dem Gesamtwerk. 25.2.-12.4. 1989, Galerie Hedwig Döbele, Ravensburg).

Seit genau vier Jahrzehnten, seit Werner Haftmanns Essay aus dem Jahre 1949 über die frühen Radierungen von Eugen Batz, ist von diesem Künstler immer wieder als einer „Entdeckung“ die Rede gewesen bzw. davon, daß es ihn noch zu „entdecken“ gelte. Diese Einschätzung ist paradoxerweise richtig und falsch zugleich. Nach einer stattlichen Zahl von Gruppen- und Einzelausstellungen, die hier aufzulisten nicht der Ort ist, sowie der 1984 bei Belser erschienenen ersten umfassenden Monographie aus der Feder von Dieter Hoffmann mutet es geradezu grotesk an, Batz immer noch als potentielle Entdeckung hinzustellen. Unter Kennern längst bekannt und geschätzt, ist sein Oeuvre einem größeren Kunstpublikum bisher allerdings tatsächlich kaum gegenwärtig. Das hat Ursachen, die sowohl in der Persönlichkeit des Künstlers und in dessen individueller Lebensgeschichte gründen wie auch mit zeitgeschichtlichen Faktoren zusammenhängen.

Aus der späten Einsicht, daß unser gewohntes, festgefügtes Bild von der Geschichte der Kunst dieses Jahrhunderts korrekturbedürftig sei, zumindest aber der Erweiterung bedürfe, hat Rainer Zimmermann vor einigen Jahren auf eine rezeptionsgeschichtliche Lücke hingewiesen, die durch die Kulturbarbarei des Nationalsozialismus entstanden und auch nach dem Krieg kaum mehr geschlossen worden sei. Er spricht in diesem Zusammenhang von der »Kunst der verschollenen Generation« und meint damit jene Künstler der Jahrgänge 1890 bis 1905, die sich, am klassischen Expressionismus anknüpfend, einem »expressiven Realismus« bzw. einer neuen »Existenzmalerei« verpflichtet hatten. Doch nicht nur diese »expressiven Realisten« müssen nach meiner Überzeugung der verschollenen Generation« zugerechnet werden, sondern ebenso all jene, die zwar formal und stilistisch ganz andersartig gearbeitet haben, deren persönliche und künstlerische Existenz im »Dritten Reich« aber gleichermaßen gefährdet und beeinträchtigt war und die nach dem Krieg aus den verschiedensten Gründen kaum mehr am allgemeinen Kunstbetrieb partizipieren konnten.

Für die Künstler des Bauhauses, zu denen auch Eugen Batz gehört, scheint dies auf den ersten Blick nicht zuzutreffen. Schon bald nach Kriegsende, 1950, kam in der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland die Rezeption des Bauhauses rasch in Gang. Neben der kleinen Kabinettausstellung »22 Bauhäusler stellen aus« 1950 in Berlin fand im selben Jahr im Münchner Haus der Kunst die große Retrospektive »Die Maler am Bauhaus« statt, organisiert von dem seit Dessau dem Bauhaus nahe stehenden Kunsthistoriker Ludwig Grote. Nach der Hetzkampagne der Nazis gegen die »entartete Kunst« und damit auch gegen die Bauhaus-Maler gelang nun hier in München, am Ort der tiefsten Erniedrigung der Moderne durch die Machthaber des »Dritten Reiches«, ihre glänzende Rehabilitierung. Nicht zu übersehen ist allerdings, daß das Bauhaus-Bild, das sich im Anschluß an diese Ausstellung in den 50er Jahren zu konturieren begann, zunächst alles andere als umfassend war. In der Rückblende erschien diese erste deutsche »Hochschule für Gestaltung« gleichsam als strahlender Olymp, auf dem einige der illustresten Künstler der 20erJahre – Kandinsky, Klee, Feininger, Schlemmer, Moholy-Nagy - zusammengefunden haften, doch blieb der Blick auf die zahlreichen ehemaligen Bauhaus-Schüler, die schon in den 20er und 30er Jahren teilweise ein respektables freikünstlerisches Oeuvre geschaffen haften, höchst lückenhaft. Sie »aufzuarbeiten« war ein Prozeß, der erst erheblich später begann und der bis heute keineswegs abgeschlossen ist.

Zu fragen ist, wie es kommt, daß Eugen Batz genau 70 Jahre nach der Gründung und mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Schließung des Bauhauses immer noch zu jenen Bauhäuslern gehört, die nur »Insidern« bekannt sind. Reicht der Hinweis auf die Kunstdiktatur des Nationalsozialismus aus, um dieses Phänomen zu erklären? Gewiß, Batz hatte in den zwölf Jahren, die das »Tausend jährige Reich« bestand, seine künstlerische Produktion nahezu ganz einstellen müssen. In den Jahren 1929 bis 1931 Student am Dessauer Bauhaus, später bis 1933 Meisterschüler von Paul Klee an der Düsseldorfer Kunstakademie, gehörte er nach der »Machtergreifung« gleichsam automatisch zum Kreis jener, die der Bannstrahl der »Entartung« traf. Hinzu aber kam - und damit ist ein zweiter Erklärungsfaktor dafür gefunden, daß der Name Batz nach dem Krieg im Kunstbetrieb nicht sofort zum Begriff wurde - die Notwendigkeit, im elterlichen Betrieb, einer bergischen Fassondreherei, mitzuarbeiten, um die eigene Existenz und die der Familie zu sichern. Solche außerkünstlerischen Tätigkeiten sind, wie allgemein bekannt, der Entfaltung einer Rollenidentität als Künstler nicht gerade zuträglich, entziehen sie doch der künstlerischen Produktion kostbare Zeit und sind überdies hinderlich, wenn es um die Präsenz im öffentlichen Kunstgeschehen geht. Über Jahre hinweg, bis in die späten 50er Jahre, ist Eugen Batz sozusagen zweigleisig gefahren, hat er gleichsam eine Doppelexistenz geführt - in seinem bürgerlichen Brotberuf einerseits und als kompromißlos »moderner« Künstler andererseits, bevor er sich dann in den letzten Lebensjahrzehnten bis zu seinem Tod 1986 ausschließlich der Kunst gewidmet hat. Doch auch in diesen Jahren der Reife und der Ernte hat Batz, ein Stiller im oft allzu hektischen Kunstbetrieb, jeglichem neurotischem Profilierungsgehabe entsagt, hat er jedweden Publizitätsrummel gemieden, um sich ganz auf sein künstlerisches Tun konzentrieren zu können.

Umso bemerkenswerter sind angesichts der skizzierten Umstände Umfang und Qualität seines künstlerischen Oeuvres, dessen Fundamente zweifellos durch sein Studium am Bauhaus gelegt worden sind. Nicht die Utopie einer »neuen Einheit« aus Kunst und Technik, die Gropius schon 1923 programmatisch verkündet hafte, war es, die Eugen Batz in den Bann des Bauhauses geschlagen hatte, sondern die magische Bildwelt Paul Klees. Und neben dem verehrten Lehrer Klee war es Wassily Kandinsky, einer der Eckpfeiler des Bauhauses schon seit Weimar, der das bildnerische Denken des jungen Eugen Batz nachhaltig beeinflußt bzw - richtiger - angeregt hat. Wenn hier von »Anregung« und nicht von »Einfluß« die Rede ist, so deshalb, weil schon ein oberflächlicher Blick auf die frühen Arbeiten des Künstlers aus der Zeit um 1930 deutlich macht, daß sich Batz offen sichtlich nicht, wie manch anderer seiner Mitstudenten am Bauhaus, in epigonalen Bahnen bewegt hat, sondern in seinen abstrakten Kompositionen schon bald zu eigenständigen Bildlösungen gelangte. Beispiele dafür sind in dieser Ausstellung etwa die Kompositionen »Im weißen Bogen«, »Quadrat und Rechteck«, und »Gewinkelt«, alle 1930, die sich durch einen entschiedenen Willen zur formalen und farblichen Reduktion auszeichnen und zum Teil in geradezu puristischer Weise Tektonisches betonen. Dies gilt auch für die Gruppe der in blau-grauen Farbtönen gehaltenen, streng geometrischen Kompositionen des Jahres 1934, während die Komposition »Ein blauer und zwei rote Punkte« von 1932 eher an die arkadische Heiterkeit mancher Gemälde Paul Klees erinnert.

Nach dem Krieg nahm der Künstler die Arbeit genau dort wieder auf, wo er sie unter der Naziherrschaft hatte unterbrechen müssen. Konkret: Er malte zunächst einige Bilder zu Ende, die er 1936 begonnen hatte und die seinerzeit unvollendet geblieben waren. Dieses Detail ist insofern aufschlußreich, als es das Gerede vom 8. Mai 1945 als der »Stunde Null« einmal mehr relativiert bzw. fragwürdig erscheinen läßt. Denn nicht der radikale Neubeginn war für die Zeitsituation kennzeichnend, sondern eher die Suche nach Kontinuität im Sinne einer Rückbesinnung auf kulturelle und künstlerische Traditionen der Zeit vor dem Hitlerfaschismus. Dies zeigen auch die Veranstaltungen der in den ersten Nachkriegsjahren auf einem Schloß bei Bonn aktiven sog. »Donnerstag- Gesellschaft«, zu der neben Joseph Fassbender, Hann Trier, Georg Meistermann, Hubert Berke u.a. auch Eugen Bat gehörte - keine Künstlergruppe im strengen Sinne mit Programm und Statuten, sondern eine lockere Gruppierung von Individualisten, »eine Gemeinschaft Einsamer, eine Verbundenheit Selbständiger«, wie Hans M. Schmidt treffend bemerkt hat. Verbindend war die Absicht, nach den Jahren der Kunstdiktatur des Nationalsozialismus an die progressiven Tendenzen der Zeit vor 1933 anzuknüpfen und zugleich den Anschluß an die internationale Avantgarde zu suchen. Als eine besonders charakteristische Arbeit aus jener Zeit, in der sich schon etwas von der Formenwelt der 50er Jahre andeutet, ist … die Komposition »Ohne Titel« von 1948 zu sehen.
Nun erst, nach dem Krieg und schon mehr als 40 Jahre alt, fand Bat Gelegenheit, sich mit seiner Kunst durch die Herausgabe druckgrafischer Mappenwerke und durch Beteiligungen an Gruppenausstellungen der Öffentlichkeit zu stellen. Einen äußerlichen Höhepunkt seiner Künstlerlaufbahn - Batz hatte inzwischen schon die Fünfzig überschritten - markierte seine Beteiligung an der II. documenta 1959 in Kassel. Gezeigt wurde ein Zyklus aus neun nahezu gegenstandslosen Radierungen von 1932, die seinerzeit nicht hatten erscheinen können und zu denen Werner Haftmann 1949, wie einleitend erwähnt, einen geradezu emphatischen Text geschrieben halte. Obwohl die Bilder von Batz aus den 50er Jahren von der Kritik oft mit dem Informel in Zusammenhang gebracht worden sind, lassen sie nicht selten doch konkrete Gegenstandserfahrungen, insbesondere die von Landschaften, erkennen, was zuweilen sogar durch die Bildtitel - etwa »Das grüne Feld«, 1958 [Nr. 15, Abb. S. 29] oder »Landschaft«, 1961 [Nr. 20,Abb. 5. 37] - bestätigt wird. D.h. es handelt sich hier kaum je um rein subjektive Niederschriften psychischer Befindlichkeiten, um »psychische Automatismen« gar wie sie für einer Reihe der damaligen Abstrakten typisch waren, sondern um freie Umsetzungen geschauter Wirklichkeit mit bildnerischen Mitteln, die in ihrer ästhetischen Wirkungsweise informeller Malerei allerdings außerordentlich nahestehen. Heinrich Hahne hat den Kern der Sache exakt getroffen, wenn er feststellt, die Kunst von Eugen Batz sei »zwischen dem Gegenstand und dem künstlerischen Begriff angesiedelt«, und zwischen »Vorgegebenheit und spontaner Verwandlungskraft, zwischen dem Objektiven und Subjektiven (sei) ihr eigentlicher Ort … Sie ist mehr als Reproduktion des Gegenständlichen und mehr als subjektive Manifestation.“
Dies zeigen auch die Bilder, die auf den zahlreichen Reisen des Künstlers in die Länder des Mittelmeerraumes entstanden. Wie schon manchem Künstler vor ihm - erinnert sei nur an Delacroix‘ Marokkoreise oder an van Goghs Südfrankreichaufenthalt - lieferte auch Eugen Batz der Süden immer neue bildnerische Inspirationen, und mehr als 60 Jahre nach der schon legendären Tunis Reise von Klee, Macke und Moilliet wurde ihm Tunesien zum Erlebnis -sein Licht, seine Farbigkeit, die strenge Geometrie seiner kubischen Architekturen. Doch fiel er nie einem naiven Abbildrealismus zum Opfer sondern stets gelang es ihm, erfindend eigene Bildwelten parallel zur Natur bzw. zur sichtbaren Realität zu erschaffen.

Sinngemäß das Gleiche läßt sich über den Umgang des Künstlers mit dem Figürlichen sagen, das seit den 60er Jahren im Oeuvre von Batz einen immer breiteren Raum einnahm. Es ist interessant zu beobachten, daß bei einem Künstler wie dem fast gleichaltrigen Joseph Fassbender (geb. 1903) die Entwicklung stetig von der Figuration zur Abstraktion verlief, während Batz von der nahezu völligen Abstraktion allmählich zum Figurativen zurückkehrte. Unwillkürlich lassen die Figurenbilder des Künstlers an Oskar Schlemmer denken, der just in jenem Jahr aus dem Bauhaus ausschied, in dem Batz dort sein Studium begann. Nicht daß sich seine Figuralkompositionen, die den Menschen oft statuarisch-schemenhaft in gleichsam imaginären Räumen zeigen, formal an Schlemmer orientierten - und doch gibt es Parallelen, so etwa die Tendenz zur Abstraktion von physiognomischen Besonderheiten, von psychischen Befindlichkeiten und von spezifischen sozialen Situationen. Wie bei Schlemmer erscheinen auch bei Batz die Figuren oft in Gruppen, ohne daß sich aus ihrem Miteinander unmittelbar ein Handlungssinn erschließen ließe, und wie bei Schlemmer besitzen die angedeuteten Räume meist so etwas wie eine metaphysische Grundstimmung. Eines der interessantesten Gemälde, im dem Batz Abstraktion und Figuration miteinander zu versöhnen versucht, ist die Komposition »Licht und Schatten« von 1974 [ Nr. 30, Abb. S.53]. Der geometrisch aufgeteilten oberen Bildhälfte, die an die abstrakten Flächengliederungen der Bilder des Jahres 1932 denken läßt, konfrontiert der Künstler im unteren Teil eine Figurengruppe, über die sich das Licht silbrig-gleißend ergießt, um dann in der rechten, dunklen Schattenzone gleichsam zu erlöschen. Zu Recht hat Dieter Hoffmann notiert, der späte Batz sei ein »Licht- Maler« und es wäre zweifellos ein dankbares Unterfangen, einmal die Metaphysik des Lichtes in diesen Gemälden, ihre Lichtmystik, einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Daß das Oeuvre von Eugen Bat überaus vielfältig ist, ohne daß dabei die »Einheit des Personalstils« verloren geht, machen die in dieser Ausstellung gezeigten Arbeiten, die einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert überspannen, überzeugend deutlich. Es sind Bilder, die sich durch einen hohen Grad an formaler Reduktion, durch große Sparsamkeit der Mittel, durch knappe Tektonik und durch sensibelste Farb- und Malkultur auszeichnen. Bilder, die ihre Faszination aus dem Umstand beziehen, daß sie sich - nicht nur dann, wenn es um mythologische Themen geht («Daedalus«, 1959/60; »Geburt des Pegasus«, 1962) - trotz aller strukturellen Klarheit letztlich doch dem rationalen Zugriff entziehen und das Geheimnis des künstlerischen Schöpfungsaktes, der aus den Tiefen des Unbewußten gespeist ist, kaum je preisgeben.
Anmerkungen:

1) Gemeint ist Werner Haftmanns Essay zu der von ihm 1949 herausgegebenen Mappe mit neun Radierungen von Eugen Batz aus dem Jahr 1932; abgedruckt auch in: Eugen Batz. Radierungen, Stahlätzungen und Prägungen 1924 -1963, hrsg. v. Freundeskreis, unter Mitarbeit der Galerie Döbele Ravensburg, Oberhausen o.J., S.5-8
2) Dieter Hoffmann: Eugen Batz. Leben und Werk, hrsg. v. Johannes Döbele, Stuttgart—Zürich 1984.
3) Rainer Zimmermann: Die Kunst der verschollenen Generation. Deutsche Malerei des Expressiven Realismus von 1925 bis 1975, Düsseldorf— Wien 1980.
4) Hans M. Schmidt: »Eine Gemeinschaft Einsamer, eine Verbundenheit Selbständiger«. Künstlervereinigungen der Nachkriegszeit, in: Katalogbuch »Aus den Trümmern. Kunst und Kultur im Rheinland und Westfalen 1945-1952«, hrsg. v. Klaus Honnef und Hans M. Schmidt, Köln 1985, S. 423-431.
5) Heinrich Hahne, zit. bei Hoffmann, a.a.O., S.17
6) vgl. dazu das Katalogbuch »Joseph Fassbender. Malerei zwischen Figuration und Abstraktion«, hrsg. v. Wulf Herzogenrath, Köln 1988; der Untertitel dieser Publikation stand auch Pate für den Titel meines Beitrages über Eugen Batz.
7) Hoffmann, a.a.O., S.89.
8) a.a.O., S. 149.